Taucht man in eine natürliche Umgebung ein und lässt das harmonische Zusammenspiel verschiedenster Tiere und Pflanzen auf sich wirken, dann wird das wohl jeder als äußerst erholsam und gesund empfinden. Stellen wir uns nun vor, dass unser Körper selbst ein Lebensraum ist und in seinem Innern kleinsten Lebewesen eine Heimat bietet. Wie wirkt sich solch ein inneres Ökosystem auf uns und unsere Gesundheit aus? Welche Rolle spielt dabei die Darmflora oder wie man immer häufiger liest, das Mikrobiom unseres Darms, die Gesundheit unseres Körpers zu erhalten? Kann das Mikrobiom auch aus dem Gleichgewicht geraten und uns schaden?
In dieser Blogreihe beschäftigen wir uns mit dem Mikrobiom unseres Darms und wie unsere tägliche Essenswahl dieses innere Ökosystem unterstützen aber auch beeinträchtigen kann. Dieser erste Teil dient als Einstieg, der, so hoffen wir, schon ein gutes Verständnis und Bauchgefühl für die Zusammenarbeit von Mensch und Mikrobiom hinterlässt.
Hoffentlich kribbelt es nun im Bauch, die Reise durch unseren inneren Lebensraum steckt voll faszinierender Erkenntnisse.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff Mikrobiom
Schon im Altertum kamen Vermutungen auf, dass es ganze Welten im Kleinen geben könne, jenseits der Grenzen unserer Wahrnehmung. Es war die Erfindung und Entwicklung des Mikroskops, die unseren eng begrenzten Wahrnehmungsbereich hin zu kleineren Maßstäben erweiterte. Mit einer der ersten Menschen, der einen Mikroorganismus zu Gesicht bekam, war der Niederländer van Leeuwenhoek. Er begann um 1670 mit Hilfe des Mikroskops, Leben auf kleinstem Maßstab zu studieren. Forscher entdeckten fortan ganze Gemeinschaften von Kleinstlebewesen. 1988 wurde hierfür erstmals der Begriff Mikrobiom verwendet, eine Gemeinschaft verschiedener Mikroorganismen, die einen begrenzten Bereich unter bestimmten Umweltbedingungen als Lebensraum bewohnen (1). Im Folgenden beziehen wir uns mit dem Begriff Mikrobiom immer auf das Mikrobiom des menschlichen Darms.
Die Bestandteile unseres Mikrobioms
Zu unserem Mikrobiom gehören Bakterien, Pilze (u.a. Hefen), Achaeen und Viren (u.a. Bakteriophagen, das sind Viren, die Bakterien befallen). Bei den Bakterien kann man anhand von Stuhluntersuchungen deren Populationsgröße abschätzen. Für einen Durchschnittserwachsenen erhält man einen erstaunlichen Wert von 200g Darmbakterien. Die Anzahl dieser Bakterien liegt im Bereich von 38 Billionen, also einer Zahl mit zwölf Nullen. Größenordungsmäßig entspricht das der Menge aller Zellen des menschlichen Körpers (2). Interessant ist, dass der Darm, genauer der mittlere Teil des Dickdarms (Kolon), damit nahezu die gesamte Bakterienbesiedlung (97% 2) des Menschen auf sich zieht. So sind es auch die Bakterien, die den Großteil der Mikroorganismen der Darmflora darstellen.
Das Mikrobiom und unsere Gesundheit
Bei diesen enormen Zahlen wundert es nicht, dass das Mikrobiom des Darms unsere Gesundheit in hohem Maße mitbestimmt (3). Dabei ist es im Allgemeinen die große Menge an unterschiedlichen Darmbakterien, mit der gesundheitsfördernde Eigenschaften verknüpft werden (4).
Auf der anderen Seite kann ein Mangel an Vielfalt des Mikrobioms negative Folgen für die Gesundheit nach sich ziehen. In Wissenschaftskreisen mehren sich Studien und Arbeitshypothesen, dass viele Zivilisationskrankheiten mit einem solchen Mangel in Verbindung stehen. Sei es Diabetes (5), Übergewicht (5, 6), Krebs (7), Herz-Kreislauf-Erkrankungen (8), Autoimmunkrankheiten (9) (z.B. Rheuma) oder Allergien (10, 11), immer werden Schieflagen und fehlende Vielfalt im Darm als Ursache ausgemacht (12).
Veränderungen im Laufe der Zeit
Das wir nicht schon immer mit einem ausgedünnten Mikrobiom herumliefen, geht aus Untersuchungen fossiler menschlicher Exkremente hervor. Diese stellen auch die Hinterlassenschaften der Vorfahren moderner Gesellschaften dar. Dabei ähnelt das fossile Mikrobiom eher einer Zusammensetzung, wie sie heute noch bei einigen Naturvölkern vorgefunden wird(13). Geht es also um Veränderungen, die das Mikrobiom im Laufe unserer Zivilisationsgeschichte erfahren hat, dann ist es vor allem sinnvoll, Vergleiche zu heute noch intakten Jäger- und Sammlergesellschaften heranzuziehen (wired) (14).
Zwei Beobachtungen sind dabei besonders interessant. Zum einen, dass bei Naturvölkern die genannten Zivilisationskrankheiten häufig völlig unbekannt sind (12). Zum anderen fällt bei Untersuchungen der Darmgesundheit der Naturvölker besonders die große Vielfalt ihrer Darmbesiedelung auf. Beide Entdeckungen zusammen lassen vermuten, dass sich die menschliche Spezies über ihre gesamte Entstehungsgeschichte an das Leben mit einer großen Vielfalt an Darmbewohnern angepasst hat (13). Die Verbindung von Körper und Mikrobiom ist demnach nicht bloß ein Nebeneinander. Um uns gesund zu halten, sind wir vielmehr aufeinander angewiesen.
Veränderungen durch Lebensstil
Stellt man direkte Vergleiche zwischen den unterschiedlichen Lebensweisen an, zeigen sich bei der Vielfalt des Mikrobioms erhebliche Unterschiede. Die Entstehung eines Mangels an Vielfalt wird vor allem einer industriell geprägten Lebensweise zugeschrieben (13). Der Konsum von hochverarbeiteten Lebensmitteln, häufiger Gebrauch von Antibiotika, Geburten mit Kaiserschnitt und die Verwendung von Säuglingsanfangsnahrung, Hygiene, Umweltgifte und wenig Kontakt mit Tieren und Böden einer intakten Umwelt werden als Gründe für ein zerstörtes Gleichgewicht zwischen Mensch und Darmflora gennant(9, 13). Bleiben wir bei den Lebensmitteln und fragen uns, was dem Mikrobiom bei verarbeiteten Lebensmitteln so zusetzt.
Vielfalt bei einem Naturvolk
Bei der Suche nach Antworten ist es äußerst hilfreich, dass in dieser hochtechnologisierten Welt noch Völker existieren, die weitgehend von modernen Einflüssen frei geblieben sind. Eine solche Gesellschaft stellen die Hadza aus Tansania dar. Erstmals in Berichten europäischer Forschungsreisenden Anfang des 20. Jahrhunderts (ab 1910) erwähnt, rückten die Hadza ab 1958 stärker in den Blickpunkt der westlichen Wissenschaft (wikipedia). Von großem Vorteil erwiesen sich dabei persönliche Kontakte zwischen den Wissenschaftlern und Mitgliedern der Hadzas. Bis heute liefert der Austausch mit Vertretern der Hadza wertvolle Informationen über deren Lebensstil und im Besonderen über ihre Ernährungsweise und Darmgesundheit.
Schnelle Anpassungsfähigkeit
Besonders eine Entdeckung kann als Schlüsselbaustein und Wegweiser betrachtet werden, um den Zusammenhang von Ernährung und Mikrobiom aufzudecken. Die uns dauerhaft fehlenden Teile im Mikrobiom sind Bakterien, die bei den Hadzas saisonal, d.h. im jahreszeitlichen Wechsel, auch unter die Nachweisgrenze fallen (15). Zu Trockenzeiten gleicht sich also unser und das Mikrobiom der Hadza an. Aus diesem Ergebnis leiten sich weitreichende Folgerungen ab.
- Teile des Mikrobioms stellen sich schnell, d.h. innerhalb eines Jahres, auf äußere Einflüsse ein.
- Es müssen auch sehr langfristige Entwicklungen eine Rolle spielen. Unser Mikrobiom hat über viele Generationen hinweg diese schnell schwankenden
Bakterienarten verloren.
Ein permanenter Mangel
Beide Beobachtungen lassen sich unter einen Hut bringen, wenn man einen Blick auf eine bestimmte Komponente der Ernährung richtet, und das sind die Ballaststoffe. Bei den Hadzas ist es genau der Gehalt an Ballaststoffen ihrer Nahrung, der saisonbedingt schwankt. Und bei uns stellen die Ballaststoffe einen dauerhaft geringen Anteil unserer Ernährung dar.
Damit steht uns ein plausibler Erklärungsansatz für unser karges Mikrobiom zur Verfügung. Durch permanenten Mangel an Ballaststoffen haben wir demnach Gruppen von Bakterien über viele Generationen völlig ausgehungert (12).
Dabei rückt immer mehr in den Blickpunkt, dass die menschliche Gesundheit gerade auch auf Teile des Mikrobioms angewiesen ist, die bei industrieller Lebensweise dauerhaft verschwunden sind (13).
Was können wir tun?
Kann eine Ernährungsumstellung nun helfen, einem ausgedünnten Mikrobiom seine ursprüngliche Vielfalt zurückzubringen? Die Motivation wäre allemal vorhanden, führen wir uns die Tragweite fehlender Bakterienarten vor Augen.
Ein guter Aufhänger für Teil zwei wäre, Bakterien in Pillenform als Lösung für unsere Zivilisationskrankheiten vorzustellen. Warum eine Wiederansiedelung der bei uns ausgestorbenen Bakterien aber nicht so einfach möglich ist, das ist die Frage, die unseren nächsten Blogartikel vielleicht noch spannender macht. Und schließlich stellen wir die neuesten Erkenntnisse vor, wie wir unser Mikrobiom trotzdem unterstützen können.
Quellen
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- Ron Sender, Shai Fuchs, Ron Milo. Revised Estimates for the Number of Human and Bacteria Cells in the Body. PLOS Biology, 2016; 14 (8) DOI: 10.1371/journal.pbio.1002533
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