Es ist eine bemerkenswerte Fähigkeit unseres Körpers, sich immerzu selbst zu erneuern, sich auf- und umzubauen und zu heilen. Proteine sind an all diesen täglich ablaufenden Prozessen beteiligt. In diesem Blogbeitrag legen wir ein besonderes Augenmerk auf eine Gruppe von wichtigen Proteinbestandteilen, die gerade aus der Sicht gesunder Ernährung eine Rolle spielen.

Es ist hilfreich, sich Proteine als eine kettenförmige Aneinanderreihung kleinerer Bausteine, den sogenannten Aminosäuren, vorzustellen. Bei diesen Aminosäuren unterscheidet man zwischen essentiellen und nicht-essentiellen Aminosäuren, wobei letztere vom Körper selbst gebildet werden können. Der einzige Weg, unseren Körper mit essentiellen Aminosäuren zu versorgen, geht hingegen über die Nahrung. Immer wieder stellt man fest, dass der gesundheitliche Einfluss der Proteine gerade auch von den essentiellen Aminosäuren mitbestimmt wird. Ein gutes Beispiel, was Proteine neben Kohlenhydraten und Fetten so besonders macht und welchen Anteil daran die genannten Aminosäuren besitzen, ist unter dem treffenden Namen Proteinhebel bekannt.
Der Proteinhebel
Schon in unserem vorangegangenen Blogartikel haben wir erfahren, dass an lebenswichtigen Auf- und Umbauprozessen Proteinbestandteile mitwirken, die der Körper nicht selber herstellen kann. Die Wichtigkeit einer ausreichenden Versorgung mit diesen Aminosäuren spüren wir auch an unserem Hungergefühl. Vor allem ein gesteigerter Appetit auf proteinreiche Nahrungsmittel wie Milch- und Fleischprodukte signalisiert uns einen akuten Mangel an essentiellen Aminosäuren. Und hier setzt der Proteinhebel an.
Die Hypothese des Proteinhebels besagt, dass der Mensch so lange Essen zu sich nimmt, bis sein Bedarf an Eiweiß gedeckt ist. Das heißt, nicht der Energiegehalt unserer Mahlzeit sondern das Eiweiß ist der Gradmesser, an dem sich unser Sättigungsgefühl orientiert. Nun kann man sich vorstellen, was passiert, wenn unsere Mahlzeit zu wenig Protein enthält. Wir essen, bis wir (Protein-)satt sind und haben damit mehr Kalorien zu uns genommen, als eigentlich notwendig.
Gestützt wird diese Hypothese durch die Beobachtung, dass auch im Vergleich zu Kohlenhydraten und Fetten das Protein am effektivstem sättigt (1). In früheren Zeiten enthielten unsere Lebensmittel ausreichend Eiweiß, so dass dieser Mechanismus sicherstellte, dass wir uns an Kalorien nicht überessen und damit auch kein überschüssiges Fett ansetzen. Hochverarbeitete Lebensmittel und Umwelteinflüsse führten aber dazu, dass der Proteingehalt unserer Mahlzeiten in den letzten Jahrzehnten gesunken ist (2). Isst man sich satt, hat man das mit mehr Kalorien bezahlt, als damals. Damit wäre der Proteinhebel auch eine mögliche Erklärung für die anhaltende Ausbreitung von Übergewicht vor allem in der westlichen Welt.
Für die Vermeidung oder Reduzierung von Übergewicht ist ein rechtzeitig einsetzendes und lang anhaltendes Sättigungsgefühl ein naheliegender Ansatzpunkt (1). Und hier kommen die Eiweiße unserer Lebensmittel ins Spiel. Durch die Regulierung der Sättigung und des Hungergefühls können Eiweiße dabei helfen, die Kalorienzahl der Mahlzeiten wieder auf ein angemessenes oder reduziertes Niveau zu bringen.
Unterschiedliches Sättigungsvermögen verschiedener Proteine
Die Welt der Proteine ist aber immens vielfältig und man fragt sich, ob verschiedene Proteine auch unterschiedliche Sättigungseigenschaften besitzen. Dabei zeigt sich, dass besonders das in der Milch enthaltene Molkenprotein (Whey) ein größeres Sättigungsgefühl erzeugt als andere Proteine, unter anderem auch als das ebenfalls in der Milch enthaltene Casein. Bei der Ursachenforschung trifft man auf bestimmte Proteinbestandteile, die für das gesteigerte Sättigungsgefühl durch das Molkenprotein verantwortlich sein sollen, die sogenannten verzweigtkettigen Aminosäuren, kurz BCAAs (branched-chain amino acids) (1). Demnach signalisiert unser Körper mit seinem Hungergefühl, dass zusammen mit Kalorien und anderen Nährstoffen vor allem ein Nachschub an BCAAs erwünscht ist. Ein Indiz, dass diese Aminosäuren für uns äußerst wichtige Nahrungsbestandteile sind.
Der Fallstrick isolierter Hochdosierungen
Prima, mit hohen Dosen an BCAAs sind wir schon pappsatt bevor wir unseren Kalorienbedarf ausschöpfen und die Pfunde purzeln nur so dahin. Das wäre allerdings ein Trugschluss, denn: BCAAs sind ein gutes Beispiel, dass das Motto "Viel hilft viel" in Ernährungsfragen kein guter Ratgeber ist. Anhand von Versuchen an Mäusen konnte nämlich gezeigt werden, dass eine Versorgung mit einem hohen Verhältnis von BCAAs zu anderen essentiellen Aminosäuren zu Essstörungen in Form von extremer Fresssucht und Überfressen führt (3). Die damit einhergehende Verschlechterung der Gesundheit und Verkürzung der Lebensspanne ist dann Folge der entstandenen Fettleibigkeit (3).
Welche Eigenschaften besitzen BCAAs außerdem?
Von den 9 bekannten essentiellen Aminosäuren gehören nur drei in die Gruppe der BCAAs: Leucin, Isoleucin und Valin. Neben ihrer Bedeutung für das Sättigungsgefühl stehen BCAAs auch im Ruf, das Muskelwachstum zu fördern und Muskelabbau vorzubeugen. Beispielsweise besitzt Valin neben der Eigenschaft, Muskelwachstum zu unterstützen, noch weitere gesundheitlich positive Wirkungen wie der Erhalt mentaler Stärke, es hilft bei Reparaturprozessen von Geweben und kann zur Energiegewinnung genutzt werden. Reichhaltige Quellen für Valin sind Soja, Fisch, Käse, Gemüse und Fleisch (4).
Übergewicht und BCAA im Blut
Obwohl der Körper auf eine ausreichende Versorgung mit essentielle Aminosäuren angewiesen ist, werden gerade bei BCAAs auch Mechanismen beobachtet, die sich negativ auf die Langzeitgesundheit auswirken können. Wichtig dabei ist zu unterscheiden, zwischen BCAAs unserer Nahrung und den BCAAs, die mit dem Blut frei verfügbar im Körper zirkulieren. Dabei wird die BCAA-Konzentration in unserem Blut, die sogenannte zirkulierende BCAA, viel eher von Übergewicht, Insulinresistenz und Diabetes Typ 2 beeinflusst, als von der Menge, die wir über das Essen aufnehmen(3). Einige Forscher schlagen sogar vor, die BCAA-Konzentration im Blut als Biomarker für Übergewicht, Fettleber, Insulinresistenz und Typ 2 Diabetes heranzuziehen (3).
BCAA Konzentration im Blut
Während die meisten Aminosäuren in der Leber verstoffwechselt werden, sind BCAAs darin einzigartig, dass sie hauptsächlich in den Muskeln abgebaut werden. Muskeln bilden also nicht nur ein stützendes Korsett für den Körper, sie tragen auch ganz wesentlich dazu bei, freie BCAAs daran zu hindern, ihren Beitrag bei Übergewicht, Insulinresistenz, Diabetes und Krebs zu leisten (5). Stellt man körperlich aktivere Menschen anderen gegenüber, die weniger Aktivität an den Tag legen, dann besitzen die körperlich aktiveren einen geringeren BCAA-Gehalt im Blut, soweit leuchtet das ein. Überraschend ist aber, dass bei Übergewichtigen ein 12-wöchiges Trainingsprogramm keine Senkung des erhöhten BCAA-Gehalts ergab (6). Auch Änderungen der über die Nahrung aufgenommenen BCAA-Menge hatten keinen Einfluss auf die freie BCAA-Konzentration im Blutplasma. Was allerdings senkend wirkte, war eine Reduzierung des Körpergewichts (6).
Leucin und Krebs
Das eine dauerhaft erhöhte freie BCAA-Konzentration im Blut vermieden werden sollte, wird durch Studien unterstrichen, in denen Zusammenhänge mit der Entstehung und Ausbreitung von Krebs untersucht werden. Unsere Zellen besitzen einen bemerkenswerten "siebten Sinn", indem sie die Anwesenheit von BCAAs in ihrer Umgebung wahrnehmen und als Reaktion über den mTORC1-Signalweg Zellwachstumprozesse in Gang setzen. Es gibt Hinweise, dass eine unspezifische, unkontrollierte Überaktivierung von mTORC1 an etlichen Krebsarten beteiligt ist. Im Speziellen gilt dies für Leucin, indem eine Konzentrationserhöhung dieser BCAA in den Zellzwischenräumen das Krebswachstum fördert (4). Mit einem perfiden Mechanismus unterstützen Krebszellen von sich aus die erhöhte Aktivität des mTORC1-Signalwegs, indem sie die Verstoffwechselung und damit den Abbau von BCAAs unterdrücken (7).
BCAA-Gehalt der Nahrung
Wer nun auf die Idee kommt, BCAAs eher zu meiden, sei daran erinnert, dass die Menge an BCAAs, die wir mit der Nahrung aufnehmen, nicht gleich der Menge ist, die nüchtern frei im Blut zirkuliert. Das ein solch einfacher Zusammenhang nicht existiert, wird auch bei dem Thema Milcheiweiß deutlich.
Milchprodukte fallen in die Kategorie tierischer Proteinlieferanten mit einem nennenswerten Anteil an BCAAs. Trozdem ist häufig die Empfehlung zu lesen, Milchprodukte wegen ihres hochwertigen Proteins auf den Speiseplan zu packen. Man fragt sich, ob der Genuss von Joghurt und Käse nicht auch dazu führt, dass freie BCAAs unnötig in unserem Körper zirkulieren. In einer Studie wurde genau das untersucht, und zwar ob der Konsum von Milchprodukten die Konzentration von zirkulierendem BCAA verändert. Auch eine deutlich erhöhte Menge verzehrter Milchprodukte führte bei gesunden Probanden nicht zu einer Veränderung weder bei dem zirkulierenden BCAAs noch bei der Insulinsensitivität (5).
Zusammenfassung
Zum Ende dieses Blogbeitrags halten wir folgende 3 Punkte fest:
- Proteine können das Sättigungsgefühl günstig beeinflussen und so beim Abbnehmen oder Gewichthalten unterstützen.
- Ein verminderter Proteingehalt des Essens kann über den Proteinhebel Übergewicht fördern.
- Dauerhaft erhöhte Mengen an BCAAs im Blut gehen mit Übergewicht, Diabetes Typ 2, Insulinresistenz, etc. einher und können sich negativ auf die Langzeitgesundheit auswirken.
Quellen
- Brianna Lueders, Bradley C. Kanney, Martina J. Krone, Nicholas P. Gannon, Roger A. Vaughan. Effect of branched-chain amino acids on food intake and indicators of hunger and satiety- a narrative summary. Human Nutrition & Metabolism, 2022; 30 DOI: 10.1016/j.hnm.2022.200168
- Raju Lal Bhardwaj, Aabha Parashar, Hanuman Prasad Parewa, Latika Vyas. An Alarming Decline in the Nutritional Quality of Foods: The Biggest Challenge for Future Generations’ Health. Foods, 2024; 13 (6) DOI: 10.3390/foods13060877
- Samantha M. Solon-Biet, Victoria C. Cogger, Tamara Pulpitel, Devin Wahl, Ximonie Clark, Elena E. Bagley, Gabrielle C. Gregoriou, Alistair M. Senior, Qiao-Ping Wang, Br, Am on, a E., Ruth Perks, John O’Sullivan, Yen Chin Koay, Bell-, Kim erson, Melkam Kebede, Belinda Yau, Clare Atkinson, Gunbjorg Svineng, Tim Dodgson, Jibran A. Wali, Matthew D. W. Piper, Paula Juricic, Linda Partridge, Adam J. Rose, David Raubenheimer, Gregory J. Cooney, David G. Le Couteur, Stephen J. Simpson. Branched-chain amino acids impact health and lifespan indirectly via amino acid balance and appetite control. Nature Metabolism, 2019; 1 (5) DOI: 10.1038/s42255-019-0059-2
- Er Xu, Bangju Ji, Ketao Jin, Yefeng Chen. Branched-chain amino acids catabolism and cancer progression: focus on therapeutic interventions. Frontiers in Oncology, 2023; 13 DOI: 10.3389/fonc.2023.1220638
- Utpal K. Prodhan, Amber M. Milan, Eric B. Thorstensen, Matthew P. G. Barnett, Ralph A. H. Stewart, Jocelyn R. Benatar, David Cameron-Smith. Altered Dairy Protein Intake Does Not Alter Circulatory Branched Chain Amino Acids in Healthy Adults: A Randomized Controlled Trial. Nutrients, 2018; 10 (10) DOI: 10.3390/nu10101510
- Froukje Vanweert, Patrick Schrauwen, Esther Phielix. Role of branched-chain amino acid metabolism in the pathogenesis of obesity and type 2 diabetes-related metabolic disturbances BCAA metabolism in type 2 diabetes. Nutrition & Diabetes, 2022; 12 (1) DOI: 10.1038/s41387-022-00213-3
- Russell E. Ericksen, Weiping Han. Malignant manipulaTORs of metabolism: suppressing BCAA catabolism to enhance mTORC1 activity. Molecular & Cellular Oncology, 2019; 6 (3) DOI: 10.1080/23723556.2019.1585171
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